„Gossip ist ein Mittel der psychischen Hygiene“

Der Freiburger Soziologe Sacha Szabo über Klatsch und Tratsch in den Boulevardmedien

"Gossip ist ein Mittel der psychischen Hygiene"

Sacha Szabo – Soziologe

Ist Charlene wirklich schwanger? Sylvie Meis sieht sehr bedrückt aus. Was tragen unsere Spielerfrauen in Brasilien? Sprechen Sie diese Zeilen an? Dann sind sie für Gossip empfänglich. Die Neugierde und manchmal die Schadenfreude die von den unterschiedlichsten Boulevardmedien verbreitet werden, hält Massen von Neugierigen bei der Stange möglichst schnell die neueste Nachricht zu erfahren, in der es wieder menschelt. Klatsch und Tratsch haben schon seit vielen Jahrzehnten Konjunktur und werden zugleich immer wieder abklassifiziert, weil es ja keine richtigen Nachrichten sind. Dennoch bleibt dieses Format bei den Lesern und Zuschauern dauerhaft beliebt. Was ist es, was die Menschen so am Gossip interessiert. Wir sprachen mit dem Freiburger Soziologen Sacha Szabo vom Institut für Theoriekultur, der Alltagskulturen untersucht und diese Frage eigentlich beantworten können sollte.

Herr Szabo, was interessiert die Menschen so an Gossip?

Sacha Szabo: Gossip, kann man gut mit dem deutschen Begriffsdoppel „Klatsch und Tratsch“ umschreiben,, still auf der aller allgemeinsten Ebene unsere Neugierde. Der Mensch ist da nicht anders als viele Tiere, als eigentlich die meisten Tiere, er ist neugierig. Neugierde ist lebensnotwendig, denn sie liefert uns Informationen über unsere Umwelt. Über Chancen und Risiken die sich in uns auftun. Nicht zuletzt ist Neugierde auch ein Motor für die Diffusion in neue Lebensräume.

Bleiben wir einmal bei Klatsch und Tratsch.

Sacha Szabo: Klatsch und Tratsch, auch wenn diese Begriffe oft zusammen benutzt und, manchmal verwechselt werden, sind keinesfalls das Gleiche. Tratsch ist eher ein belangloses Gespräch über Nebensächlichkeiten. Das aber eine wichtige Funktion erfüllt, es führt nämlich in das Gespräch ein, in dem dann die wirklich wichtigen Informationen ausgetauscht werden. Natürlich kann auch ein Gespräch beim Tratschen, beim Smalltalk verweilen. Dort hat dann das Gespräch die Funktion, den Kontakt zu dem Gegenüber nicht abreissen zu lassen. Die Motivationen können ganz unterschiedliche sein. Aber es geht grundlegend darum, Informationen über das Gegenüber und die Umwelt zu sammeln. Genau das wird im bemühten Gespräch über das Wetter deutlich. Smalltalk ist im Übrigen ein hochkomplexer Akt, bei dem man viel verkehrt machen kann und sei es nur auf die Frage: „Wie geht es Ihnen?“ wahrheitsgemäß zu antworten. Die richtige Antwort lautet nämlich immer: „Gut und Ihnen“.

Und Tratsch?

Sacha Szabo: Beim Tratschen werden Informationen über Dritte, die nicht anwesend sind, weitergegeben. Diese können stimmen, müssen aber nicht. Heutzutage spricht man hier gerne vom Lästern. Aber auch die Neugierde ist etwas, das eine Verlockungsprämie für den Tratsch darstellt. In einer Gemeinschaft, nehmen wir eine Dorfgemeinschaft, ist es wichtig was dem einen oder anderen Mitglied widerfahren ist. So beobachtet sich eine Gemeinschaft durch Tratsch selbst. Diese Beobachtung hat zugleich auch den Aspekt der Kontrolle. Tritt nämlich jemand aus dieser Gemeinschaft aus, so wird dies durch Lästern kommentiert um die Integrität der Gemeinschaft aufrechtzuerhalten. Diese Gemeinschaften sind in ihrer Struktur nicht auf sozialen Aufstieg angelegt, sondern vor allem auf Selbsterhalt. Ein Erbe der Ständegesellschaft.

Aber warum gibt es dann soviel Gossip über Promis?

Sacha Szabo: Unsere Wirklichkeit ist nun nicht mehr die des Dorfes, sondern wir leben in einer globalisierten Welt, in der viele Prozesse automatisiert und abstrakt geworden sind. Der Kapitalismus hat kein Gesicht mehr. Deshalb wollen wir ihm so gerne eines geben und sei es eben das von Bill Gates oder Marc Zuckerberg. Für uns als Menschen, die auch gewohnt sind mit menschlichen Beweggründen klarzukommen, ist nun das Wissen über bestimmte Persönlichkeitsmerkmale und Handlungsmuster hoch spannend, weil sie uns helfen uns in einer überkomplexen Wirklichkeit zu orientieren. Wenn wir sehen, dass Angela Merkel beim Wandern sich den Knöchel verstaucht, so wirkt sie menschlich und nicht als Sachverwalterin politischer Prozesse die nur schwer durschaubar sind. Und die Art wie sie mit diesem Missgeschick umgeht, gibt uns dann scheinbar Aufschluss darüber, wie sie mit anderen, vielleicht größeren Problemen, umgehen wird.

Der Boulevard, so hat man den Eindruck, pusht richtiggehend Promis, um sie dann „abzuschießen“

Sacha Szabo: Der Boulevard ist vor allem ein journalistisches Medium und folgt dessen Gesetzen und Dingen die einen Nachrichtenwert versprechen müssen und sich dabei an bestimmte Regeln halten. Eine Nachricht muss aktuell sein, sie muss aber auch Gefühle erzeugen. Genau dies leisten diese Artikel. Jemand wird aus der Gemeinschaft herausgehoben, das erste Gefühl ist Bewunderung. Doch ragt er zu weit heraus, dann entsteht Neid. Also freut man sich über Widrigkeiten bis er fallengelassen wird, dann wandelt sich Schadenfreude irgendwann in Mitgefühl. Es ist eine Art Katharsis, die die Leser bei solch einer Geschichte miterleben und ihre eigenen Erlebnisse in diesen Stellvertretern nochmals nachempfinden und letztlich auch in ihren eigenen Sinnkontext einordnen können. Der Gossip ist ein nicht zu unterschätzendes Mittel der psychischen Hygiene, so wie der Tratsch ein Mittel der sozialen Hygiene ist.

Herr Szabo, vielen Dank für das Gespräch.

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