Analyse zum BGH-Urteil vom 15.11.2012 zur Plausibilitätsprüfung des Vertriebs bei Prospekten geschlossener Fonds?

In seiner Entscheidung vom 15.11.2012 (III ZR 55/12) hat der BGH – ein Beitrittsfall aus dem Jahr 1996 – iudiziert, ein Anlageberater habe aufgrund seiner Pflicht zur objektgerechten Beratung die Anlage, die er empfehlen will, „mit üblichem kritischen Sachverstand zu prüfen oder den Anleger auf ein diesbezügliches Unterlassen hinzuweisen.“

Zu den Anforderungen an die von einem Anlageberater geschuldete Plausibilitätsprüfung eines Prospekts.
Kurzzusammenfassung:

In seiner Entscheidung vom 15.11.2012 (III ZR 55/12) hat der BGH – ein Beitrittsfall aus dem Jahr 1996 – iudiziert, ein Anlageberater habe aufgrund seiner Pflicht zur objektgerechten Beratung die Anlage, die er empfehlen will, „mit üblichem kritischen Sachverstand zu prüfen oder den Anleger auf ein diesbezügliches Unterlassen hinzuweisen.“ Von einer Plausibilitätsprüfung des Prospekts ist in dieser BGH-Entscheidung keine Rede.

„Die aus einem Anlageberatungsvertrag folgende Pflicht zur objektgerechten Beratung bezieht sich auf diejenigen Eigenschaften und Risiken des Anlageobjekts, die für die jeweilige Anlageentscheidung wesentliche Bedeutung haben oder haben können. Ein Anlageberater ist deshalb verpflichtet, eine Anlage, die er empfehlen will, mit üblichem kritischem Sachverstand zu prüfen, oder den Anleger auf ein diesbezügliches Unterlassen hinzuweisen. Hierbei kann eine unterlassene Prüfung allerdings nur dann zu einer Haftung führen, wenn bei dieser ein Risiko erkennbar geworden wäre, über das der Anleger hätte aufgeklärt werden müssen, oder aber wenn erkennbar geworden wäre, dass eine Empfehlung der Anlage nicht anleger- und/oder objektgerecht ist (vgl. nur Senatsurteil vom 5. März 2009 – III ZR 302/07, NJW-RR 2009, 687 Rn. 13; BGH, Urteil vom 7. Oktober 2008 – XI ZR 89/07, NJW 2008, 3700, Rn. 12, 14).“

Entscheidungsanalyse:

Diese BGH-Entscheidung bedarf einer Einordnung:

Derselbe III. Zivilsenat hatte mit seiner Entscheidung vom 05.11.2009 (III ZR 302/08), Rdn. 16 iudiziert, eine Plausibilitätsprüfungspflicht betreffend den Prospekt treffe nur den Anlagevermittler, während der Anlageberater eine weitergehende Prospektprüfung vorzunehmen habe. Diese Rechtsprechung betraf aber Pflichten des Anlagevertriebs betreffend Beitrittsfälle aus einer Zeit vor dem 01.07.2005. Seit dem 01.07.2005 führt(e) jedoch die BaFin gem. § 8i VerkProspG i.V.m. den Vorgaben der Vermögensanlagen-Verkaufsprospektverordnung (VermVerkProspV) eine Prospektprüfung auf Vollständigkeit, Kohärenz, Verständlichkeit und darauf durch, ob inhaltliche Aussagen aufgrund gesetzlicher Vorgaben offensichtlich falsch sind. Die inhaltliche Richtigkeit des Prospekts wird durch Wirtschaftsprüfer (sog. Prospektprüfer) im Auftrag des Prospektharausgebers nach Maßgabe der Grundsätze des IDW S4 geprüft. Daran hat sich für die Zeit ab 01.01.2012 mit dem Inkrafttreten der §§ 13 VermAnlG – an Stelle des aufgehobenen Verkaufsprospektgesetzes – i.V.m. der neuen Vermögensanlagen-Verkaufsprospektverordnung (VermVerkProspV) nichts geändert.

Dies hat zu der vom BGH noch nicht geklärten Frage geführt, ob Anlagevermittler eine Plausibilitäsprüfung und Anlageberater eine weitergehende Prospektprüfung vorzunehmen haben, wenn es sich um Beitrittsfälle aus der Zeit nach dem 01.07.2005 handelt (dazu Wagner NJW 2013, 198, 202 f.). Denn was soll ein Anlagevermittler bzw. Anlageberater dabei bei einem Prospekt erkennen können, was zuvor bei der Prospektprüfung der BaFin und des Prospektprüfers nach IDW S4 unbeanstandet geblieben ist ? Auch die Entscheidung des BGH vom 15.11.2012 (III ZR 55/12) befaßt sich mit dieser Frage nicht, handelte es sich doch um einen Beitrittsfall aus der Zeit vor dem 01.07.2005.

Aus der Entscheidung des BGH vom 15.11.2012 (III ZR 55/12), Rdn. 6 kann für Beitrittsfälle aus der Zeit vor dem 01.07.2005 folgendes entnommen werden: Eine Anlage – nicht den Prospekt -, die der Anlageberater empfehlen wolle, müsse er „mit üblichem kritischen Sachverstand prüfen“ oder den Anleger darauf hinweisen, daß er nicht geprüft habe. Und hätte er bei einer Prüfung ein Risiko erkennen können, dann hätte er darauf hinweisen müssen. Sei also eine Prüfung unterlassen worden und darauf nicht hingewiesen worden, und sei bei einer Prfüng ein aufklärungspflichtiges Risio erkennbar gewesen, dann könne dies einen Haftungsfall sein.

Handlungsbedarf:

Das Problem ist allerdings folgendes: Dies entschied der BGH am 15.11.2012 zu einem Beitrittsfall in 04/1996, also mit einer Rückwirkung von 16 Jahren. Dies stößt auf gravierende verfassungsrechtliche Bedenken:

Das Bundesverfassungsgericht (15.01.2009 – 2 BvR 2044/07, BVerfGE 122, 248, 277 f. m.w.N.) hat zu einer richterrechtlichen Rechtsprechungsänderung, die sich nicht auf Gesetzesrecht abstützen kann, entschieden, daß diese

„auch unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes grundsätzlich dann unbedenklich ( ist), wenn sie hinreichend begründet ist und sich im Rahmen einer vorhersehbaren Entwicklung hält …“
Es ist aber keine vorhersehbare Entwicklung, wenn der BGH in seiner Entscheidung seine Grundsätze zur Überprüfung der Anlage durch den Kapitalanlagevertrieb auf eigene Rechtsprechung der Jahre 2008 und 2009 stützt und dies bei einem Beitrittsfall aus 04/1996.

Betroffene, die sich in Haftungsprozessen diese neue Rechtsprechung für Altfälle aus der Zeit vor dem 01.07.2005 entgegengehalten bekommen, sollten wegen der nicht nur formellen sondern auch materiellen Subsidiarität einer Verfassungsbeschwerde die verfassungsrechtliche Fragwürdigkeit dieser Rechtsprechung bereits von Beginn des Instanzenzuges an themtaisieren, um später nach Erschöpfung des Rechtsweges sie ggf. zum Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde machen zu können.

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